Was ist Krankheit ?
Definition von Krankheiten
Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich von den derzeitigen Definitionen bzw. Einteilung von psychischen Krankheiten nicht richtig verstanden. Die Einteilung von Problemen anhand des Diagnoseschlüssels vom ICD 10 erfasst selten die gesammten Faktoren, die für die Wahrnehmung von Krankheit und Gesundheit wirklich hilfreich oder erforderlich sind.
Das ICD 10 ist aber eben auch eher ein Statistikmanual als eine Bibel, die nun in Checklistenform eine Diagnose erstellen kann. Was wirkich an Ressourcen bzw. Stärken und eigenen Bewältigungsmöglichkeiten besteht bzw. was uns eigentlich in die Krankheit bring oder hält oder welche Unterstützung wir in der Krankheitsbewältigung haben, wird davon nicht erfasst.
Gesundheit und Krankheit in einer anderen Perspektive
Gerade im Zusammenhang mit psychischen Problemen bzw. Symptomen wie Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und Abgeschlagenheit stellt sich die Frage : Was ist Krankheit bzw. wie definiert man eigentlich Gesundheit und Krankheit so, dass sich die Betroffenen darin wiedererkennen.
Gesundheit ist sicher mehr als die Abwesenheit von Krankheitssymptomen.
Gesundheit ist, wenn ich dass, was ich jetzt gerade erlebe, ungestört von weiteren Innenwahrnehmungen, quasi automatisch in passende Gefühle umsetze. Gesundheit ist, wenn die Gefühle, die ich erlebe in ihrer Art und in ihrer Intensität dem aktuellen Moment entsprechen und auch wieder abklingen können. Gesundheit ist, wenn meine Wahrnehmung und meine Gefühle und Empfindungen dauerhaft eine Einheit bilden und sich parallel verhalten.
Gesundheit heisst aber auch, dass ich nicht durch Stressbelastungen bzw. emotionalem Lärm um mich herum aus der Form gerate. Das ich flexibel reagieren und mich mit Dienstschluss bis zum nächsten Tag oder nach dem Wochenende wieder erholen kann und nicht den emotionalen Sondermüll mit mir herumschleppe, den ich im Kontakt mit Vorgesetzten oder Kollegen fast zwangsläufig aufgeschnappt habe.
„Krankheit“ ist, wenn ich immer wieder irritiert werde, weil die Wahrnehmung dessen, was in mir und um mich herum passiert, und die Gefühle dazu, nicht zueinander zu passen scheinen. „Krankheit“ ist, wenn es Gefühle gibt, die keine Wahrnehmung, und Wahrnehmungen, die keine Gefühle zu haben scheinen. „Krankheit“ ist, wenn immer wieder Gefühle auftauchen, die in ihrer Art und in ihrer Intensität die Wahrnehmung des Augenblicks überschreiben dürfen und mich dadurch ein stückweit aus meiner Gegenwart herausreissen und dann kurzzeitig die Konzentration rauben bzw. eine kurze Konfusion auslösen, die eine Neuorientierung bzw. Neustart erfordern.
Krankheit ist aber eben auch, dass es „Notfallmechanismen“ gibt, um die Leere oder das Überfluten von Wahrnehmungen und Gefühlen zu kanalisieren, wie wir es bei unseren Patientinnen alltäglich erleben.
Krankheit bedeutet auch, dass ich dauerhaft be-eindruckt bin und meine Gefühle eben nicht mehr frei mitschwingen bzw. regulieren können. So wie ein Ball auf Druck von aussen vielleicht seine Form verliert und nicht wieder in seine ursprüngliche Form zurück kommt bzw. irgendwann einfach „die Luft raus ist“. Oder aber wie bei einem Reglerpult, wenn ein Regler blockiert oder ein Knopf sich nicht mehr lösen lässt. Wichtig ist also, dass ich nicht „Einschnappe“ bzw. dauerhaft die emotionalen Erlebnisse des Tages in uns nachwirken oder meine Emotionssteuerung und mein Verhalten bestimmen.
Krankheit heisst auch, dass irgendwann sich diese Gefühle in Form von psychosomatischen Symptomen bzw. Schlafstörungen ein Ventil suchen werden bzw. die Zeit für die Regeneration immer länger bzw irgendwann nicht mehr ausreichend ist, um die inneren Batterien wieder aufzuladen und einem Burnout bzw…depressive Dekompensation zu entgehen.
Im Extremfall (speziell durch sekundäre Traumatisierung im gehäuften engen Kontakt mit traumatisierten bzw. dissoziativen Patientinnen) lösen dann schon der blosse Kontakt zu bestimmten Personen oder Patientinnen automatisierte Reaktionen wie ein Trigger aus. Man kann dann nicht mehr so reagieren, wie es professionell erforderlich bzw dem eigenen Menschenbild und Berufsethos entspricht. Jeder sensible Mensch wird da so seine eigenen emotionalen Verletzungen und „Schwachpunkte“ haben, die gerade unsere Patientinnnen häufig sehr genau erspüren und teilweise auch manipulativ (bei Borderline-Störungen) ansprechen, um ihre emotionale Bedürftigkeit indirekt einzufordern. Sich Abgrenzen können heisst auch, sich in Selbsterfahrung über seine eigenen Empfindsamkeiten bzw. Verletzungen / Traumata bewusst zu sein und handlungsfähig zu bleiben.
Ausgehend von diesem Grundverständnis von „gesund“ oder „krank“ ein wenig abseits der üblichen Definitionen von psychischen Störungen, möchten wir sehr einfache und schnell wirkende Hilfen zur eigenen emotionalen Stabilisierung hin zu mehr „Gesundheit“ in diesem Sinne aufzeigen.