Ärztliche und psychologische Beratung im Bereich Psychologie, Psychosomatik und Psychiatrie (z.B. bei ADHS, Essstörungen, Angst, Beziehungsproblemen, Depression, sexuellen Problemen, Persönlichkeitsstörungen)

ADHS ohne Behandlung

Geschrieben von: Martin Winkler
Erstfassung: 02 Apr 2003. Geändert: 02 Apr 2003.

Abstrakt:

Ist es notwendig, ADHS zu behandeln? Was passiert ohne Behandlung?

Frage:

Ist es notwendig, ADHS zu behandeln? Was passiert ohne Behandlung?

Antwort:

Wenn Eltern, Lehrer oder andere aussenstehende Personen Auffälligkeiten im Sinne einer ADHS-Symptomatik bemerken und ein Arzt eine korrekte Diagnose gestellt hat, so müssen bereits seit einem längeren Zeitraum deutliche und gegenüber anderen Kindern, Jugendlichen bzw. Erwachsenen schwerwiegendere Einschränkugen vorliegen. Dadurch ist einerseits die Lebensqualität der Betroffenen schon merklich beeinträchtigt. Viele Kinder weisen deutliche Entwicklungsverzögerungen und Kontaktproblemen mit Gleichaltrigen auf, zumal sie selber ihr Verhalten nur sehr eingeschränkt regulieren können. Darunter leiden sie zusätzlich, weil sie trotz Anstrengung und bestem Willen nicht die gewünschten Erfolge erzielen können. Somit treten sehr häufig Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit bei ADHS-Kindern auf, die sich von ihrer Umwelt zunehmend abkapseln.

Wenn auch vielleicht für die Schule eher störendes Verhalten oder motorische Unruhe im Vordergrund der Beschwerden stehen, so solle man doch gerade bei der Abwägung einer etwaigen medikamentösen Therapie die längerfristigen Folgen der bei der ADHS typischen Einschränkungen der Aufmerksamkeitsfunktionen, Handlungskontrolle und Planung sowie Regulation von Handlungen (sog. höhere Hirnfunktionen oder Exekutivfunktionen) berücksichtigen. Gerade zwischenmenschliche Beziehungen und Lernerfahrungen leiden hierunter ganz erheblich. Letztlich kann natürlich niemand für den Einzelfall festlegen, ob und in welchem Mass bei fehlenden (medikamentösen) Therapieangebot ein Schaden für das Kind entsteht. In Untersuchungen (sog. MTA-Studie) zeigte sich jedoch, dass eine medikamentöse Behandlung im Rahmen eines Gesamttherapieplanes die beste Behandlungsmöglichkeit für die Kinder darstellte und von allen Beteiligten positiv bewertet wurde.

Bestehen von den Eltern oder dem Kind bzw. Jugendlichen selber erhebliche Vorbehalte gegen eine medikamentöse Therapie sollten andere Massnahmen des multimodalen Behandlungskonzeptes verstärkt eingesetzt werden. Sicherlich kann man auch nicht so einfach sagen, dass ohne Behandlung die Prognose (Aussichten) für das Kind immer schlecht verlaufen muss. Hier spielen die individuelle Betreuung und Kompensationsmöglichkeiten wie bei allen anderen psychischen Problematiken eine grosse Rolle. Dies sollte aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein unbehandeltes ADHS ein grosses Gefährdungspotential für die altersgerechte Entwicklung des Kindes bedeuten kann und in aller Regel die Schulleistungen nachhaltig negativ beeinflusst wird.

In früheren Untersuchungen an der Rochrisikogruppe von hyperaktiven und impulsiven Jungen mit dem Hyperkinetischen Syndrom wurden teils erschreckende Auswirkungen einer Nicht-Behandlung deutlich. Aber Vorsicht! Sicherlich kann man solche Statistiken nicht auf alle Kinder verallgemeinern. Es zeigte sich jedoch, dass ADHS-Kinder unbehandelt ein deutlich erhöhtes Risiko für folgende Bereiche aufweisen:

  • erhöhte Unfallgefährdung , ca 1,5 mal mehr Krankenhausaufenthalte, viel häufigeres Aufsuchen von Unfallambulancen
  • zusätzliche Verhaltensstörungen bei 30-50 Prozent, insbesondere Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und Störung des Sozialverhaltens
  • zusätzliche Teilleistungs- und Lernstörungen bei 20 bis 30 Prozent
  • 2 bis 3 fach erhöhtes Suchtrisiko, insbesondere bei zusätzlichen Verhaltensstörungen
  • erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen
  • Vermutlich beeinflusst das Vorliegen einer ADHS-Veranlagung auch einen schwierigeren Verlauf weiterer psychischer bzw. psychiatrischer Störungen. Da nur wenige Untersuchungen bisher die Auswirkungen bei Mädchen bzw. Frauen weiterverfolgt haben, ist z.B. die Auswirkung auf Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen noch nicht so gut untersucht.

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