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Ursachen anorektischer Essstörungen - eine Form der Abhängigkeit?

Geschrieben von: Gunborg Palme, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, Dozentin und Tutorin für Psychotherapie. Übersetzt von: Karin Austen.
Erstfassung: 27 Nov 2006. Geändert: 15 Jul 2008.

Abstrakt:

In diesem Text geht es um die Frage, ob Magersucht, wie Suchtstörungen, durch die Stimulation des Belohnungszentrums im Gehirn verursacht werden kann.

Frage:

Ist Anorexia nervosa eine Abhängigkeitsstörung? Sind die Ursachen für anorektische Essstörungen dieselben wie für Alkoholismus und andere Süchte?

Antwort:

Monica war 16 Jahre alt, sie war 1,70 m groß und wog 66 kg. Sie war unzufrieden mit ihrem Körper, vor allem dann, wenn sie sich die Bilder in den Modemagazinen anschaute. Sie wollte aussehen wie die Models, um von den Anderen geachtet zu werden, und so beschloss sie, nichts mehr zu essen, was Fett enthielt und begann eine strenge Diät. Am Anfang wurde sie sehr bewundert, doch als sie bis auf 42 kg abgemagert war, reagierten ihre Freunde und Eltern und baten sie, wieder normal zu essen. Doch Monica weigerte sich und sagte, sie fühle sich nicht wohl, wenn sie esse. Es gab einen großen Streit zwischen Monica und ihrer Mutter, als Monica entdeckte, dass ihre Mutter Öl an das Salatdressing getan hatte, und Monica fing an, in Bezug auf ihr Essverhalten zu lügen und behauptete meist, sie habe schon gegessen. Auf diese Weise hoffte sie, in Ruhe hungern zu können.

Im Rahmen einer Studie verbanden Forscher eine Elektrode mit dem Belohnungszentrum im Gehirn einer Maus. Jedesmal, wenn die Maus einen kleinen Knopf berührte, wurde das Belohnungszentrum stimuliert, mit dem Ergebnis, dass die Maus nicht länger essen oder mit den anderen Mäusen spielen wollte, sondern sich mit der andauernden Stimulation begnügte, bis sie schließlich starb.

Das Belohnungszentrum im Gehirn hat sich im Laufe der natürlichen Auslese entwickelt und fördert das Verhalten, das für das Überleben und die Reproduktion von Bedeutung sein könnte. Doch Drogen stimulieren das Belohnungszentrum ohne das Überleben zu sichern. Zwanghaftes Essen und Übergewicht unterstützen das Überleben, weil die natürliche Selektion diesen Menschen geholfen hat, Nahrung zu speichern, die in harten Zeiten nützlich sein kann. Spielsüchtige benutzen das Belohnungszentrum, ohne zu essen oder Drogen zu nehmen.

Das Belohnungszentrum kann auch durch Verletzungen stimuliert werden. Dies ist ein Schutz dagegen, durch Schmerz völlig außer Gefecht gesetzt zu werden. Deswegen verletzen sich manche Menschen selbst, um sich einen "Kick" zu verschaffen und unangenehme Gefühle zu vertreiben.

Das Gleiche gilt für das Hungern. Das anfängliche Gefühl von Hunger geht nach ein paar Tagen vorbei, wenn die tägliche Kalorienzufuhr 400 nicht überschreitet. Das anfängliche Unbehagen verwandelt sich dann in eine entspannte Ruhe. Das Hungern reduziert das psychische Unwohlsein.

Die Evolution hat denen geholfen, die trotz Hungers funktionieren. Sowohl zuviel als auch zuwenig Essen stimulieren das Belohnungszentrum und erhöhen die Fähigkeit, in Zeiten zu überleben, in denen das Nahrungsangebot schwankt.

Magersüchtige wählen das Hungern, weil die einzigen Alternativen Binge-Eating oder psychisches Unwohlsein und Angst wären. Das Gefühl der Selbstkontrolle wird benutzt, um das Bewusstsein für unangenehme Gefühle zu unterdrücken, ähnlich wie Drogenabhängige Drogen benutzen, um Empfindungen auszuschalten.

Bevor Magersüchtige völlig ausmergeln, werden sie für ihr Aussehen häufig noch bewundert. Unsere nicht naturgemäßen Schönheitsideale sind dafür verantwortlich, und so erhöht sich das Risiko, an Magersucht zu erkranken.

Menschen, die mit Essgestörten arbeiten, wissen, dass diese Patienten, in verschiedenen Lebensabschnitten, zwischen Magersucht, Bulimie und Binge-Eating schwanken können. Meine Untersuchungen, und auch die von Anderen, zeigen, dass es in diesem Bereich ähnliche Persönlichkeitsmerkmale gibt: Ängstlichkeit, Depression, Stressempfindlichkeit, schlechter Kontakt zu Gefühlen und körperlichen Empfindungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Krankheit in einer Magersucht manifestiert ist umso höher bei Personen mit einer starken Selbstkontrolle und mangelndem Selbstwertgefühl.

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