Geschrieben von: Dr. Martin Winkler
Erstfassung: 13 Jan 2007.
Geändert:
13 Jan 2007.
Rückenschmerzen : Hilfe durch Psychotherapie ?
Für eine Krankheit chronische Rückenschmerzen erscheint es häufig zunächst völlig unverständlich, warum der Hausarzt oder Orthopäde eine Therapieempfehlung für einen Psychologen mit spezieller Ausrichtung in der Schmerztherapie gibt. Im Gegensatz zu einer akuten Schmerzproblematik helfen bei chronischen Schmerzen (länger als 3 bis 6 Monate bestehende Rückenschmerzen) Spritzen, entzündungshemmende Mittel (Antiphlogistika) oder andere Schmerzmittel kaum. Die aktuellen Diskussionen zu den möglichen Risiken dieser Medikamente für chronische Rückenschmerzen und (Vioxx und ähnliche Antiphlogistika) verstärken die Notwendigkeit, mehrdimensional Hilfen im Umgang mit chronischen Schmerzen bei Patienten mit Rückenschmerzen zu finden. Neben der ärztlichen Behandlung, Krankengymnastik und physikalische Therapie spielt die Psychotherapie heute eine zunehmende Bedeutung in der Behandlung von Rückenschmerz. Und das durchaus mit grosser Aussicht auf Erfolg.
Warum empfehlen Ärzte eine Psychotherapie bei Rückenschmerzen ?
Bei den meisten Patienten lassen sich zwar körperliche Auffälligkeiten (z.B. Bandscheibenschäden, Fehlstellungen der Wirbelsäule) durch die Untersuchung beim Orthopäden oder auch in der bildgebenden Diagnostik (z.B. Computertomographie) der Wirbelsäule feststellen. Man hat jedoch herausgefunden, dass das Ausmaß der physikalischen Schäden an der Wirbelsäule bei chronischen Rückenschmerzen nicht zwingend mit der Stärke der empfundenen Schmerzen und Einschränkung der Lebensqualität oder Arbeitsfähigkeit einhergeht. Anders ausgedrückt : Ein Patient mit Rückenschmerzen kann zwar bei den orthopädischen Untersuchungen nur geringe "Auffälligkeiten" aufweisen, dennoch aber starke Schmerzempfindungen haben. Und umgekehrt : Trotz massiver mechanischer Auffälligkeiten oder Verletzungen im Rücken treten kaum oder sogar keine Schmerzen auf. Das Ausmass der objektivierbarken orthopädischen Veränderungen ist somit nicht automatisch mit der Schmerzwahrnehmung einher.
Die Begründung für diese Unterschiede liegen in biochemischen Vorgängen, die für die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung im Rücken und Gehirn zuständig sind. Diese durch Botenstoffe (Neurotransmitter) vermittelte Vorgänge der Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung ("Schmerzgedächtnis") sind ganz wesentlich durch psychologische Prozesse beeinflusst.
Die Auswirkungen und der Umgang mit der chronischen Rückenschmerz-Problematik ist immer individuell. Hier können vorbestehende psychische Störungen (z.B. Depressionen oder Angsterkrankungen) bereits zu einem erhöhten Belastungsniveau beitragen und den Umgang mit der Schmerzsymptomatik erschweren. Dabei unterscheiden sich Menschen in der Art und in Bewältigungsfähigkeiten im Umgang mit psychischen Belastungen und Stress.
Wenn Menschen unter Stress-Belastungen stehen - und dazu gehört auch die Stress-Belastung unter chronischen Rückenschmerzen zu leiden - treten verschiedene biochemiche Veränderungen im Körper auf. Hierbei handelt es sich um Stressreaktionen, die evolutionär gesehen sich auf die Bereitschaft für Flucht oder Kampf bezogen - nicht auf die heutigen Belastungen und Herausforderungen im Alltag.
Muskelverspannungen nehmen bei Schmerzen zu : Ein Teufelskreis
Stress führt zur Erhöhung von innerer Anspannung, die wiederum direkt mit der Muskelanspannung verknüpft ist. Ärzte sprechen hier auch von einem "Teufelskreis", da eben eine vorbestehende Muskelanspannung zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung führt. Die subjektive Schmerzverarbeitung wiederum löst Gedanken und Gefühle der Angst, Verzweifelung, Hilflosigkeit ("ich bin meinen Schmerzen hilflos ausgeliefert") und Resignation aus. Letzlich erhöht dies aber nur das eigene Stressniveau und damit die Anspannung. Mit der Folge, dass sich die Schmerzwahrnehmung verstärkt bzw. die Patienten jetzt immer eingeengter auf ihre Schmerzen werden und andere Aktivitäten nicht mehr ausüben können, isolierter und zurückgezogener leben als zuvor.
Zudem verschlechtern sich unter der Anspannung sowohl die Blutversorgung, da die Blutgefässe sich verengen und die Muskeln nicht mehr optimal versorgt werden. Zudem werden Stresshormone ausgeschüttet, die eine chronische Entzüdungsreaktion in den betroffenen Bereichen auslösen.
Chronische Rückenschmerzen und Depressionen
Es ist allgemein bekannt, dass es einen Zusammenhang von chronischen Schmerzen und Depressionen gibt. Dabei ist einerseits bekannt, dass gerade bei schwerer verlaufenden Depressionen Schmerzzustände vermehrt beobachtet werden (sog. somatisierte Depression oder Somatisierungsstörungen). Andererseits weiss man, dass Patienten in der Folge der Rückenschmerz-Problematik vermehrt depressive Erkrankungen zusätzlich entwickeln.
Dabei konnte man nachweisen, dass Schmerzpatienten mit chronischen Rückenschmerzen weniger des Hirnbotenstoffs Serotonin ausschütten bzw. zur Verfügung haben. Man weiss, dass Menschen mit chronischen Stressbelastungen (in Beruf oder Familie bzw. in Folge von schweren Krankheiten) einen erhöhten Verbrauch von Serotonin haben bzw. die Speicher dieses Botenstoffes nicht so wieder "aufladen" können, wie es dem Bedarf entspräche. Niedrige Verfügbarkeit des Botenstoffes Serotonin wird häufig im Zusammenhang mit einer depressiven Stimmung und Reizbarkeit gesehen. Zudem wird eine
Das mag erklären, warum bei vorbestehenden Depressionen oder Stresszuständen häufig eine besonders hohe subjektive Belastung durch Schmerzen besteht bzw. andererseits Patienten mit chronischen Schmerzen eine besonders hohe Gefährdung für die Entwicklung einer Depression in der Folge der ursprünglichen Schmerzproblematik haben.
Natürlich spielt eine depressive oder ängstliche Grundstimmung auch eine ganz wesentliche Rolle in der Aktivierung und Rehabiliation bei Rückenschmerzen. Ein depressiver Patient wird viel schwieriger eine aktive Rolle in der Therapie und Rehabilitation einnehmen und nur schwer die Energie, regelmässige eigene Übungen und auch notwendiger Optimismus in den Behandlungserfolg aufbringen. Vielmehr werden Ängste und Unsicherheit beim Wahrnehmen von Schmerzen dazu führen, dass eher eine Schonhaltung und möglicherweise auch Fehlbelastungen vermehrt auftreten und so die dringend erforderliche aktive Bewegungstherapie und Krankengymnastik deutlich erschwert verlaufen.
Andere Patienten wiederum weisen eher eine Kampfhaltung bzw. Vorwürfe (z.B. wegen einer angeblich oder real schlecht verlaufenden Operation oder anderen medizinischen Behandlung) auf. Sie verharren hier häufig an bestimmten Vorstellungen und Überzeugungen, die sich auf die akute Schmerzauslösung beziehen, für die Behandlung chronischer Schmerzen aber sehr ungünstig sind. Auch hier ist die Krankheitsverarbeitung möglicherweise ein psychologisches Problem, da hierdurch eben wiederum die innere Anspannung und damit Schmerzwahrnehmung verstärkt wird. Es muss Patienten in einem solchen Fall ungleich schwerer fallen, sich auf die eigene Regeneration und eine positive Zukunftsperspektive zu konzentrieren.
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