Ärztliche und psychologische Beratung im Bereich Psychologie, Psychosomatik und Psychiatrie (z.B. bei ADHS, Essstörungen, Angst, Beziehungsproblemen, Depression, sexuellen Problemen, Persönlichkeitsstörungen)

Fehlender Effekt von Methylphenidat bei ADHS

Geschrieben von: Martin Winkler
Erstfassung: 12 Okt 2003. Geändert: 12 Okt 2003.

Abstrakt:

Welche Ursachen kann es haben, wenn unter einer Ritalintherapie eine Verschlechterung eintritt?

Frage:

Die Therapie mit Stimulanzien hilft bei meinem Kind nicht. Im Gegenteil, alles wird schlimmer. Warum?

Antwort:

Die Grundlage für eine erfolgsversprechende Therapie ist eine korrekte Diagnostik. Dies setzt voraus, dass durch einen erfahrenen Diagnostiker sowohl die typische ADHS-Symptomatik aber auch begleitende oder alternative Syndrome berücksichtigt werden. Eine korrekte Diagnose vorausgesetzt, stellt die medikamentöse Therapie mit Stimulantien dann EINEN von mehreren Therapiebestandteilen im Sinne eines sogenannten multimodalen Behandlungseffektes dar.

Allgemein geht man davon aus, dass dann bei (mindestens) 70-80% der ADHS-Kinder unter einer medikamentösen Behandlung ein deutlicher positiver Behandlungseffekt zu verzeichnen ist. Andere Praktiker gehen sogar von deutlich höheren Erfolgsraten aus.

Als wesentliche Ursache für "ausbleibende Erfolge" oder aber Berichte über eine Verschlechterung des Verhaltens oder eine Einschränkung der Natürlichkeit des Kindes gelten unzureichend angepasste Dosierungen der Medikation.

Die Therapie mit kurzwirkenden Psychostimulantien wie Methylphenidat (Ritalin, Equasym, Medikinet) setzt gute Kenntnisse über die Wirkdauer voraus. Aufgrund einer ziemlich kurzen Wirkdauer von 3-5 h treten die häufigsten Probleme dann auf, wenn KEIN Wirkstoff mehr vorhanden ist.

Nehmen wir als praktisches Beispiel einen Jungen, der mit 2 mal 10 mg Methylphenidat von seinem Hausarzt behandelt wird. Er erhält die erste Tablette morgens vor der Schule um 7.00, die zweite Tablette um 13:30 nach dem Mittagessen.

Welche möglichen Ursachen für Probleme lassen sich diskutieren?

1. Die Behandlung wurde nicht ausreichend mit den Eltern bzw. dem Kind besprochen

Eine der häufigsten Fehler ist es, dass nicht alle Fragen zur Behandlung besprochen wurden und eine grosse Verunsicherung bei den Eltern verbleibt. Das führt dazu, dass dann gerade in der Einstellungsphase eine grosse Besorgnis besteht und häufig auch vorschnell die Behandlung in Frage gestellt wird bzw. sogar die Medikamentengabe unterbleibt.

Eltern sollten wissen, dass es einige Tage bis Wochen dauern kann, bis man die richtige Dosis und Einnahmezeiten bei dem Kind ermittelt hat. Zudem sind die meisten anfänglichen Nebenwirkungen (z.B. Kopfschmerzen, Unruhegefühl oder Reizbarkeit aber häufig eben auch Appetitstörungen) von vorrübergehender Dauer.

2. Die Dosis wurde nicht individuell eingestellt, z.b. nicht von einer niedrigen Dosis aus höher titriert.

Zu Beginn einer Behandlung sollte ein Arzt mit einer vergleichsweisen niedrigen Einzeldosis beginnen (z.B. 2,5 oder 5 mg Methylphenidat). Viele Ärzte setzen dann nur eine einmal tägliche Gabe ein. Bei dieser Dosisierung ist bei vielen Kindern noch kein positiver Wirkeffekt zu erwarten bzw. allenfalls am frühen Vormittag ein Effekt zu sehen. Dieser kann aber dann eher negativ erscheinen, da die Kinder zwar eine Wahrnehmungsveränderung spüren können, aber eben noch nicht eine gute Einstellung erfolgt ist. Der Arzt ist auf die Rückmeldung von Eltern bzw. Lehrern angewiesen, um die Dosis an die inviduelle Symptomatik anzupassen.

Im Verlauf von mehreren Tagen bis Wochen wird man dann die richtige Einzeldosis ermitteln (in aller Regel zwischen 5 und 15 mg) und bestimmen, wie lange diese Einzeldosis wirkt (häufig zwischen 3 und 5 h). Manchmal ist eine einmal tägliche Gabe ausreichend, in aller Regel aber nicht.

3. Unzureichende Beachtung der Wirkdauer von Methylphenidat

Häufig ist zu beobachten, dass zwar anfänglich am Morgen viele Dinge besser laufen, dann aber Lehrer in der Schule (für die 4. oder 5. Schulstunde) oder der Vater am späten Nachmittag oder abends eine "Verschlechterung" mit starkem Bewegungsdrang oder auch aggressivem Verhalten beschreiben. Dies ist auf einen sogenannten Rebound-Effekt zu erklären, d.h. eine fehlende Wirkung des Medikamentes mit einem Wiederauftreten der ADHS-Symptome.

Mit dem Arzt müssen die richtigen Einnahmezeiten bestimmt werden. Dies könnte bedeuten, dass man z.B. um 11 Uhr in der Schule oder am Nachmittag eine weitere Medikamentengabe ansetzen müsste. Eine Alternative hierzu stellen länger wirkende Stimulantien dar.

4. Mangelnde Compliance bei der Einnahme der Medikamente

Viele ADHS-Kinder legen eine erstaunliche Phantasie vor, wenn es darum geht ein Medikament nicht schlucken zu müssen. Unzureichende Wirkeffekte einer angessen eingestellten medikamentösen Therapie sollten immer an eine Nicht-Einnahme denken lassen!

5. Methylpheniat ist für das Kind nicht optimal

Ist auch bei gut eingestellter Therapie kein guter Effekt zu erzielen, wäre ein Therapieversuch mit Amphetaminsaft oder Kapseln zu erwägen. Ein Teil der ADHS-Kinder profitiert erst mit Amphetaminen von einer Stimulantientherapie.

6. Medikation allein reicht nicht!!!!

Natürlich kann eine Medikamententherapie ohne angemessene Verhaltenstherapie und konsequentes und gerechtes Elternverhalten keine Verhaltensänderung bewirken. Hier sollten die Eltern an einem Elterntraining teilnehmen bzw. für das Kind eine gute Verhaltenstherapie besorgen.

7. Es liegen zusätzliche Verhaltensstörungen vor

Ein Grossteil der ADHS-Kinder hat zusätzliche Störungen, z.B. eine Störung mit oppositionellem Trotzverhalten bzw. Störung des Sozialverhaltens. Hier bewirkt die medikamentöse Therapie allein nur eine geringe Besserung. Gerade in diesen Fällen ist eine Psychotherapie bzw. auch sorgfältig abgestimmte Therapieunterstützung durch die Schule erforderlich.

Hilfreich ist es sicher, sich über eine Erziehungsberatungsstelle über weitere Massnahmen beraten zu lassen. Dies können Massnahmen der Jugendhilfe (ยง35a) bzw. Entlastungshilfen für die aktuelle Krisensituation sein.