Ärztliche und psychologische Beratung im Bereich Psychologie, Psychosomatik und Psychiatrie (z.B. bei ADHS, Essstörungen, Angst, Beziehungsproblemen, Depression, sexuellen Problemen, Persönlichkeitsstörungen)

Multiaxiale Diagnostik psychischer Störungen - Multiaxiales Klassifikationsschema

Erstfassung: 10 Mai 2006. Geändert: 17 Mai 2006.
Psychische Störungen wie z.B. ADHS werden nach den europäischen Standards nicht allein nach dem vorliegen des klinischen Syndroms (hier also HKS/ ADHS), sondern auf 6 sogenannten "Achsen" beschrieben.

Damit soll erreicht werden, dass nicht allein eine beschreibende Diagnostik eines (oder mehrerer) psychiatrischer Krankheitsbilder erfolgt, sondern das Kind und seine Entwicklung, begleitende Erkrankungen und Lebensumstände erfasst werden.

Die sogenannte Achse 1 beschreibt anhand definierter Diagnosekriterien die Symptomatik. Dabei wird nicht nach einer Ursache geschaut, sondern allein anhand der ausführlichen Befragung (Anamneseerhebung) und dem sog. psychopathologischem Untersuchungsbefundes des Kindes oder Jugendlichen eine Einschätzung durch den Diagnostiker erfolgen. Hierzu kann eine Verhaltensbeobachtung und ergänzende psychologische Testverfahren sinnvoll sein.

Häufig erscheint es für den Laien verwunderlich, dass mehrere klinische Diagnosen vergeben werden. Dies sagt an sich noch nichts über den Schweregrad einer Beeinträchtigung aus. Vielmehr geht es in der Achse 1 zunächst nur um die Erfassung von Symptomen.

Achse 2 erfordert die Abklärung umschriebener Entwicklungsstörungen

Dieser Begriff ist vielleicht im allgemeinen Sprachverständnis nicht unmittelbar verständlich. Psychologen bzw. Psychiater fassen hierunter Lese- und Rechtschreibstörungen (Legasthenie) und Rechenstörungen (Dyskalkulie) zusammen. Dazu gehört es, dass man Auffälligkeiten der Wahrnehmung, Bewegung (Motorik) Sprachvermögen und Konzentration beurteilt. hierunter fallen Legasthenie (Lese-, Rechtschreibstörung) und Dyskalkulie (Rechenstörung). Hierzu sind zum einen schulische Stellungnahmen und Zeugnisnoten (deutlich schlechtere Noten in Deutsch bzw. Mathematik als in den übrigen Fächern), zum anderen spezielle Testungen notwendig, um die jeweilige Störung zu objektivieren. Legasthenie-Gutachten erfordern die Durchführung eines standardisierten Rechtschreibtests (z.B. RST 1, DRT 1, DRT 2, DRT 3, DRT 4/5, WRT 1+, WRT 2+, WRT 3+, WRT 4/5, TGR ½) und/oder eines standardisierten Lesetests (z.B. Züricher Lesetest) mit einem Prozentrang <= 10% (Richtwert). Für Dyskalkulie gilt der gleiche Richtwert in den entsprechenden Testverfahren (Mathematiktest für 2. Klassen MT 2, Diagnostischer Rechentest für 3. Klassen DRT 3, Mathematische Sachzusammenhänge ¾, Mathematische Strukturen 4, Mengenfolgetest MFT, Schweizer Rechentest 1. bis 3. Klasse, Rechentest 9+). Defizite des Sprachvermögens, der Wahrnehmung, der Konzentration und Motorik müssen ebenfalls überprüft werden. Durch eine Entwicklungsstörung kann die soziale Integration eines Kindes oder Jugendlichen nachhaltig im Sinne einer drohenden seelischen Behinderung gefährdet sein.

Auf Achse 3 wird das Intelligenzniveau angegeben, festgestellt durch psychologische Intelligenz- und Leistungsdiagnostik (HAWIK/E-R, Kaufman-Test, CFT 1 und CFT 20, Adaptives Intelligenzdiagnostikum AID). Werte im CFT 1 und CFT 20 im unteren Durchschnittsbereich (IQ 85 bis 95) erfordern eine weitere Überprüfung durch eines der o.g. übrigen Testverfahren, um eine Intelligenzminderung sicher auszuschließen. Das Intelligenzniveau ist auch von besonderer Bedeutung für die Diagnose einer Entwicklungsstörung (Achse 2), da diese einen IQ>=70 voraussetzt. Außerdem kann eine Teilleistungsstörung im schulischen Bereich nur dann attestiert werden, wenn die Ergebnisse aus den Rechen-, Lese- und Rechtschreibtests in Bezug zum Intelligenzniveau gesetzt wurden. Die T-Wert-Diskrepanz zwischen Gesamt-IQ und den jeweiligen Testergebnissen im Lesen/ Schreiben/ Rechnen sollte >= 12 Punkte betragen bzw. eine Diskrepanz von mindestens 1,5 Standardabweichungen sollte bestehen.

Achse 4 verschlüsselt körperliche Symptome. Hierdurch sollen organische Ursachen der psychischen Störung ausgeschlossen werden. Die Abwägung psychosomatischer Symptome kann an dieser Stelle stattfinden.

Die beiden letzten Achsen liefern einen bedeutsamen Beitrag zur Feststellung der Beeinträchtigung in der Teilhabe am Leben. Es handelt sich hierbei um die Zusammenfassung der Eindrücke aller an der Hilfeplanung Beteiligten, insbesondere der Jugendhilfe. Der ärztliche Gutachter gibt hierzu seine Einschätzung an, ist jedoch, anders als bei Achse 1-4, nicht alleinig beurteilende Instanz.

Achse 5 gibt die assoziierten aktuellen abnormen psychosozialen Umstände an, die das Kind im Zeitraum der letzten sechs Monate vor Behandlungszeitpunkt direkt und durchgehend betroffen haben:

* abnorme intrafamiliäre Beziehungen (z.B. Disharmonie, Mangel an Wärme, Mißhandlung oder Mißbrauch)
* psychische Störung, abweichendes Verhalten oder Behinderung in der Familie
* inadäquate oder verzerrte intrafamiliäre Kommunikation
* abnorme Erziehungsbedingungen (z.B. elterliche Überfürsorge; unzureichende elterliche Steuerung und Aufsicht; Erziehung, die eine unzureichende Erfahrung vermittelt; unangemessene Anforderungen durch die Eltern)
* abnorme unmittelbare Umgebung (z.B. Aufwachsen außerhalb des Elternhauses, getrennte leibliche Eltern, isolierte Familie)
* akute, belastende Lebensereignisse
* gesellschaftliche Belastungsfaktoren (Verfolgung, Diskriminierung, Migration etc.)
* chronische zwischenmenschliche Belastung im Zusammenhang mit Schule oder Arbeit (z.B. Sündenbockrolle, Streitigkeiten mit Mitschülern/ Lehrern)
* belastende Lebensereignisse

Achse 6 schließlich umfaßt die Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung in den Stufen 0 (herausragende soziale Funktionen mit guten zwischenmenschlichen Beziehungen in und außerhalb der Familie, mit adäquaten Interessen und Freizeitaktivitäten) bis 8 (tiefe und durchgängige soziale Beeinträchtigung, Fehlen von Kommunikation, Gefahr der Eigen- oder Fremdgefährdung). Die Beurteilung sollte sich stützen auf die Art der Beziehungen des Kindes oder Jugendlichen zu Familie, Gleichaltrigen und Außenstehenden, auf die sozialen Kompetenzen, schulische/ berufliche Adaptation, Interessenlage und Freizeitaktivitäten.