ADHS - Verhaltensbeobachtung
Geschrieben von: Martin Winkler
Erstfassung: 11 Jun 2003.
Geändert:
26 Sep 2004.
Abstrakt:
Diagnostikmöglichkeiten bei ADHS durch Verhaltensbeobachtung. Welche Möglichkeiten gibt es? Ist eine Videodiagnostik erforderlich?
Frage:
Welche Bedeutung hat die Verhaltensbeobachtung bei der Diagnose von ADHS?
Sind Videoaufzeichnungen bei ADHS zwingend erforderlich?
Antwort:
Neben der Anamnese sind Verhaltensbeobachtungen der ADHS-Symptomik von entscheidender Bedeutung zur Sicherstellung der Diagnose.
Hierbei sollten möglichst von mehreren verschiedenen Personen in verschieden Umfeldbedingungen beschrieben werden:
- welches Verhalten tritt auf (z.B. Kind steht im Unterricht 4 mal in der Stunde auf, Michael unterbricht bei Fußballtraining die Übungseinheiten durch Schwätzen, in der Familie tritt abends beim Abendessen immer wieder Streit auf)
- Wie reagieren andere Menschen darauf (z.B. Eltern, Lehrer, Freunde)
- Gibt es Situationen in denen KEINE Symptome auftreten (z.B. am Wochenende, bei bestimmten Personen oder Lehrern)
Hierzu kann eine Tagebuch, eigene Notizen oder standardisierte Verlaufsbögen eingesetzt werden. Zusätzlich wird man in aller Regel Fragebögen für Erzieher oder Lehrer einsetzen (z.B. Conners-Fragebogen, Verhaltensbeurteilungsbogen im Vorschulalter, FBB-HKS = Fremdbeurteilungsbogen Hyperkinetische Störung)
Neben den Defiziten oder Problembereichen sollten unbedingt Stärken und Ressourcen des Kindes genauso ermittelt werden:
- welche Stärken, Vorlieben und Interessen hat das Kind.
- Welche Ressourcen können für die Therapie genutzt werden bzw. könnten eine Motivation für Veränderungen sein.
Es gibt verschiedene Überlegungen und technische Bemühungen, die Hyperaktivität zu "objektivieren".Es kann jedoch hilfreich sein, bestimmte Auffälligkeiten (z.B. Mimik, Feinmotorik und Koordination) im Verlauf zu überprüfen bzw. für Aussenstehende wie Lehrer das Procedere der Diagnostik zu "objektivieren". Dabei sollte man sich jedoch verdeutlichen, dass jegliche messende Diagnostik (z.b. Videodiagnostik, Bewegungsmesser oder "Bewegungs-Radar") jeweils nur auf die besondere Situation in der Diagnostikstude abgestimmt sind.
Zudem macht der motorisch-hyperaktive Teil der ADHS-Symptomatik nur einen geringen Teil der Gesamtproblematik aus. Die für die Entwicklung und Auswirkungen im Alltag weit relevanteren Aufmerksamkeitsprobleme bzw. Probleme der Selbstorganisation werden hiermit nicht erfasst.
Achtung : Die besondere Situation der Diagnostik in einer Arztpraxis kann zu Fehlbeurteilungen im positiven oder negativen Sinne führen. Es wäre wenig verwunderlich wenn sich ein ADHS-Kind in der begrenzten Zeit beim Arzt "manierlich" verhält und ruhig auf dem Stuhl sitzt. Auffällig ist dann eher, wenn sich der Arzt oder die Ärztin mit den Eltern über scheinbar belanglose Themen unterhält, dass die Kinder dann häufig unruhiger werden oder z.B. im Zimmer auf die Untersuchungsliege etc. klettern und die Aufmerksamkeit rasch nachlässt.
Aufmerksame Beobachter merken eine nachlassende Wachheit anhand von Augenreiben, verstärktem Blinzeln oder auch dem Wippen der Beine oder Füsse (sog. Wender-Zeichen) als ein mögliches (nicht aber sicheres) Zeichen für eine motorische Unruhe.
Andererseits muss aber auch ein sehr unruhiges Kind in der Praxis nicht zwangsläufig auf ADHS hinweisen!!!! Häufig ergibt die Nachfrage bei der Praxishelferin oder einem weiteren Kollegen über das Verhalten im Wartezimmer bereits Hinweise.
Auch eine Videoanalyse kann hilfreich sein, stellt jedoch ebenfalls eine künstliche Situation dar. Sie stellt damit eine mögliche, aber nicht zwingende Untersuchungshilfe dar. Nach Jansen gelten folgende Beobachtungen des Verhaltens, der Sprache und Aufmerksamkeit als mögliche Beurteilungskriterien :
Anhaltende motorische Aktivität (Persistenz der Aktivität)
- Schnelle ruckartige und überschiessende Bewegungen und Fehlkoordination / Ungeschicklichkeit z.B. beim Greifen
- Abbruch von Bewegungen oder beim Sprechen
- kleine Bewegungsmuster vor Beginn einer Aktivität oder Anstrengung (z.B. Mitbewegung von Händen oder Füssen vor oder während einer Aufgabe)
- Ganzkörperbewegungen wie Unruhe, Kippeln
- Teilbewegungen der Füsse, Hände, Schulterzucken oder -hochziehen, Augenbrauen, Blinzeln, Fingernesteln, Grimassieren
- Ständiges Dehnen, Räkeln oder Strecken
- Feinmotorikstörung beim Schreiben (festes Aufdrücken, Verkrampfung, fahrig, überschiessendes Schriftbild)
Sprechen und Sprache
- laute oder rasch wechselnde Sprache
- ständiges Reden oder Dazwischenreden
- Selbstgespräche oder lautes Kommentieren
- Abschweifende Themen oder schilderungen
- Ständige Wiederholungen (Perseverieren)
- Sprachäußerungen durch Bewegungen begleitet
- Stottern oder Stammeln bzw. Poltern
Aufmerksamkeit
- starke Ablenkbarkeit (z.B. durch Geschwister)
- gehäufte Fehler bei Aufgabenlösen
- impulsive Lese- und Arbeitsfehler
- wirkt abwesend, verträumt (Tagträumerei, scheinbare Fehlhörigkeit)
- schneller Ausstieg aus Aufgaben (geringe Frustration)
- Ungeduld, kann schlecht abwarten
- rasch wechselnde Stimmung von Euphorie zu Gereiztheit
- Blickkontaktverlust
- Gesicht wirkt plötzlich leer und abwesend
- Clownerie
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