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Abstrakt:
Methylphenidat off label bei ADHS : Psychostimulantien bei Erwachsenen kann derzeit nur off-label verordnet werden, da keine offizielle Zulassung bei Erwachsenen mit ADHS vorliegt. Die Kostenübernahme ist daher auf Kassenrezept problematisch, meistens verweigern die Kassen die Kostenübernahme
Frage:
Gibt es Beweise (kontrollierte Studien) zur Wirksamkeit von Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADHS (Hyperkinetisches Syndrom)?
Mein Psychiater hat bei mir ADS diagnostiziert und mir jetzt Methylphenidat verordnet. Die Krankenkasse lehnt jedoch eine Kostenübernahme des Medikamentes ab. Es handele sich um eine "Off-label" Verordnung, die nur über ein Privatrezept möglich sei. Es würden Beweise für die Wirksamkeit des Methylphenidat bei Erwachsenen fehlen.
Antwort:
Auch wenn im November 2006 eine kontrollierte Studie über 24 Wochen mit einem Retard-Methylphenidat abgeschlossen wurde und eine Zulassung des Medikamentes auch für die erweiterte Indikation ADHS bei Erwachsenen vorgesehen ist, gibt es derzeit (Stand August 2008) noch kein in Deutschland zugelassenes Metyhlphenidat für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS / ADS. Dabei gibt es eigentlich hinreichende Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Medikation belegen.
Im Februar 2004 wurde in der angesehenen Fachzeitschrift Journal of Clinical J Psychopharmacolology eine sog. Metaanalyse von kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Methylphenidat bei Erwachsenen veröffentlicht. Dabei wurde eine Übersicht über die bis heute verfügbaren Studien vorgelegt, die hohen methodischen Kriterien entsprechen. Die Autoren konnten insgesamt 6 kontrollierte Studien finden, die jeweils Methylphenidat gegenüber einer Kontrollgruppe ohne Wirksubstanz (Placebo) verglichen. Dabei wurden 140 Patienten mit Methyphenidat sowie 113 Menschen in der Kontrollgruppe eingeschlossen. Der Wirksamkeitsnachweis (effect size) war mit 0.9 statistisch signifikant und nicht durch eine besondere Auswahl der Versuchsteilnehmer oder Studienbedingungen bestimmt. Bei optimierten (höheren) Dosierungen lag die Effektstärke sogar bei 1,3. Die Wirksamkeit lag damit in der Grössenordnung von vergleichbaren (weit zahlreicheren) Untersuchungen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von Methylphenidat in der Behandlung von ADHS bei Erwachsenen belegt sei.
Eine weitere europäische Studie kommt von der holländischen ADHS-Expertin Sandra Koiij. Sie untersuchte 45 Erwachsene mit ADHS in einem doppelblinden Untersuchungsdesign von Methylphenidat gegen Placebo, das aber auch eine Titrierung der Dosis vorsah. Hierbei wurde die Dosis von 0.5 mg / kg Körpergewicht in Woche 1 bis auf 1 mg kg Körpergewicht in Woche 3 erhöht. Die Responserate lag in der Verumgruppe bei 38 bis 51 % gegenüber 7 und 18% in der Placebogruppe. Somit konnte zumindest in der Kurzanwendung die hohe therapeutische Wirkung und gute Verträglichkeit bei Erwachsenen bestätigt werden.
Sicher ist es noch so, dass es zahlenmässig nur wenige Studien zu dieser Fragestellung gibt. Dies liegt u.a. daran, dass es sich um eine seit über 50 Jahren etablierte Medikation handelt und es keine neueren Zulassungsstudien zu dem "alten" Medikament gibt (etwa im Gegensatz zu dem von der Pharmaindustrie stark beworbenen und untersuchten Antidepressivum Atomoxetin).
Auch für Deutschland stellt eine aktuelle Leitlinienemfehlung der Experten aus dem Bereich der Erwachsenenpsychiatrie die Wirksamkeit und berechtigte Verordnung von Methylphenidat in der Therapie von ADHS bei Erwachsenen fest. Die Behandlung mit Stimulantien wird hier als Mittel der ersten Wahl in der medikamentösen Behandlung von ADHS bei Erwachsenen angesehen.
Die Fachgesellschaften (DGPPN) der Psychiater und Nervenärzte stellen in einer anderen Übersichtsarbeit bzw. Stellungnahme zudem fest, dass es keinesfalls "unüblich" ist, dass Ärzte Medikamente mit nachgewiesener klinischer Wirkung auch bei Krankheitsbildern anwenden, bei denen sie nach Stand der Wissenschaft (aber vielleicht noch fehlenden Zulassungsstudien für die spezielle Patientengruppe) eine Wirkung erwarten. Dies ist z.B. auch bei zahlreichen Antidepressiva der Fall, die u.a. auch bei bestimmten Formen der Angststörungen ohne spezielle Zulassung verordnet und bezahlt werden.Stellungnahme der DGPPN
Da auch leider Ärzte Regressandrohungen (Zurückzahlungen) bei der Verordnung von Stimulantien an Erwachsene hatten, ist es auch hier zu ersten gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen.
Nicht immer wurde in diesen Fällen zu Gunsten der Ärzte entschieden. So wurde in einem aktuellen Urtel des Sozialgericht Düsseldorf vom 5.3.2008 (AZ S 2 KA 209/06) überraschend eine Ärztin zu Regresszahlungen bei der Verordnung von Methylphenidat bei Erwachsenen verurteilt.
Wirtschaftlich gesehen bietet die medikamentöse Therapie der ADHS auch im Erwachsenenalter ganz eindeutig eine für die Kostenträger lukrative Möglichkeit zur kurzfristigen. Kostenreduktion. Untersuchungen zu den direkten und indirekten Kosten von ADHD belegen, dass der Anteil der direkten Medikamentenkosten verschwindend klein ist, wenn man die nachfolgenden wirtschaftlichen Auswirkungen durch Behandlung von Begleit- und Folgeproblemen (Depressionen, Sucht, Schmerzerkrankungen), Ausfall von Arbeitstagen bzw. vorzeitige / dauernde Arbeitsunfähigkeit oder auch nur die Betreuungstage für weitere Familienangehörige miteinrechnet. Diese Kosten tragen aber in der Regel nicht die Krankenkasse sondern die Gesellschaft, so dass dies bei den Kostenüberlegungen der Versicherungen nicht berücksichtigt wird> Leider argumentieren nun einige Krankenkassen bzw. Medizinische Dienste so, dass ADHS keine "lebensbedrohliche" Erkrankung wäre und daher die Kostenübernahme nicht notwendig oder möglich sei. Auch dieser Argumentation kann man sich nicht anschliessen, da die Auswirkungen mit einer erhöhten Unfallgefährdung, vermehrten Krankenhauskosten bzw. erhöhtem Risiko für Suchtmittel (Nikotin, Alkohol, Drogen, Esssucht) belegbar sind. In einem hierfür relevanten Urteil des Bundessozialgericht sprechen die Richter aber auch eindeutig von schweren Auswirkungen der Lebensqualität. Diese sind bei Erwachsenen mit ADHS in aller Regel in den relevanten Bereichen Ausbildung und Beruf, Familie und Freundeskreis bzw. Selbstorganisation und Selbstwert gegeben und gut wissenschaftlich belegt.
"Alternativen" zur medikamentösen Therapie mit Psychostimulanten sind letztlich nicht gegeben. Das in Deutschland seit März 2005 verfügbare Atomoxetin (Strattera) ist zwar international (USA, England) auch für die Indikation ADHS im Erwachsenenalter zugelassen. In Deutschland besteht aber ebensowenig eine Zulassung und der Hersteller Lilly gibt in einer Produktinformation an, dass die Ersteinstellung mit diesem Medikament bei Erwachsenen mit ADHS "nicht angemessen" sei. Auch hier würde es sich also um eine "off-label" Indikation handeln. Weitere in der Wirksamkeit entsprechende medikamentöse Alternativen stehen derzeit nicht zur Verfügung. Alleinige psychotherapeutische oder anderweitige Therapieverfahren haben bisher keine vergleichbare Wirkung bei Erwachsenen mit ADHS gezeigt. Zudem wäre damit die in den Leitlinienempfehlungen dargestellte "multimodale" Therapie einer Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie nicht gewährleistet.
Einige Ärzte argumentieren, dass die Verordnung von Methylphenidat bei Erwachsenen zunächst von der Krankenkasse genehmigt werden muss. Das ist so nicht richtig, da die Krankenkasse selber nie eine Verordnung genehmigen oder ablehnen darf. Dabei muss man wissen, dass die Krankenkasse ja auch gar nicht individuell das Medikament zahlt, sondern vielmehr ein Medikamentenpool (Summe für die Gesamtbehandlungen aller Versicherten besteht).
Um dennoch einen off-label Gebrauch von Methylphenidat bei Erwachsenen zu ermöglichen gibt es eigentlich nur 2 Möglichkeiten
Letztlich sind wiederholt Fälle von Regressforderungen gegen Ärzte bekannt geworden. Teilweise wurden diese gegen Zahlung eines deutlich geringeren Ordnungsgeldes eingestellt, wenn die Kollegen auf die zukünftige Verordnung verzichteten. Andere Kollegen konnten inhaltlich darlegen, dass die Verordnungen berechtigt waren (was ein erheblicher Aufwand ist). Jeder Einfzelfall der off-Label-Verordnung muss eindeutig schriftlich dokumentiert werden. Leider ist es daher wohl derzeit der pragmatische Weg, nur Privatrezepte auszustellen und die Patienten zur Kostenerstattung bei der Krankenkasse (siehe oben) aufzufordern.
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