Essstörungen : Motivation zur Behandlung entwickeln

Gechrieben von: Fabio Piccini, doctor and Jungian psychotherapist, in charge of the "Centre for Eating Disorders Therapy" at "Malatesta Novello" nursing home in Cesena. Works privately in Rimini and Chiavari. E-mail:

Erstversion: 23 Nov 2002. Letzte Änderung: 14 Dez 2005.

Frage:

 Wie kann man eine Motivation für eine Therapie der Essstörungen (Anorexie / Bulimie) bei einer Tochter / Sohn erzielen?
Warum ist meine Tochter nicht bereit, eine Therapie der Anorexie zu beginnen oder durchzuhalten.

Antwort:

Patientinnen mit einer Essstörung wie einer Magersucht oder Bulimie gelten als besonders herausfordernde bzw. "schwierige" Patienten für einen Arzt. Während sonst die überwiegende Mehrheit der Patienten zu einem Arzt gehen, um sich von Beschwerden behandeln zu lassen und somit selbst schon eine starke Motivation zur Behandlung oder eine therapeutische Veränderung haben, ist dies bei Patientinnen mit einer Essstörung häufig anders. Sie gehen mit gemischten Gefühlen zu einem Gespräch und lassen sich auch nicht gern in die Karten schauen, was ihre wirklichen Motive sind.

Eine Patientin mit einer Essstörung wird zunächst nicht zum Arzt gehen, um sich von der schon zwanghaften Kontrolle des Körpergewichtes, Kalorienzählen oder ständigen Beschäftigung mit Essen oder Nicht-Essen oder der Körperschemastörung behandeln zu lassen. Viel häufiger geht es ihr um das Wiedererlangen von Kontrolle, die sie meint verloren zu haben.

Wenn diese Menschen um eine ärztliche Konsultation bitten haben sie zunächst noch keine wirkliche Überzeugung, dass sie ihre Essstörung auch aufgeben wollen und können. Sie befinden sich wie in einer Sackgasse und sind sehr gestresst und verunsichert, wenn sie etwas aufgeben sollten, was ihnen über viele Monate und Jahre eine Sicherheit und Kontrolle über sich und eigene Unsicherheiten und emotionale Schwankungen und Minderwertigkeitsgedanken gegeben hat.

Viele Allgemeinmediziner berichten, dass Patientinnen mit einer Anorexie oder Bulimie nicht zur Therapie motiviert seien und alle Vorschläge für eine Behandlung ablehnen. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass es ein Teil der Krankheit ist, dass zunächst keine andere Sichtweise für die Betroffenen besteht.

Für die Mehrheit der Patientinnen stellt also ein Arzt- oder Psychologenkontrakt bereits eine grosse Hürde dar. Wenn sie sich nach Jahren mit ihrer Krankheit zu einer Änderung entschliessen bestht gleichzeitig noch eine fürchterliche Angst vor Veränderung. Dies ist die Angst, dass sie ihre noch verletzbarer und unfähiger sein werden mit anderen Menschen klar zu kommen, wenn sie ihre Krankheit aufgeben und von den Gefühlen und Anforderungen im Alltag überrannt werden.

Eine Behandlung von Essstörungen ist möglich und in der Mehrzahl der Fälle auch erfolgreich. Aber eben nur, wenn die Grundlagen einer verzerrten Selbstwahrnehmung und Ängste berücksichtigt werden und die hinter der Fassade von Selbstbeherrschung und Perfektionismus stehende Verunsicherung gesehen wird.

Patientinnen mit einer Ess-Störung sind wie Überlebende eines Schiffsuntergangs, die sich an umher schwimmenden Holz festklammern und schliesslich von Rettungshubschraubern gesichtet werden, die ihnen ein Seil zur Rettung zuwerfen. Sollen sie das sie rettende Holz loslassen und sich an etwas vielleicht noch viel unsicherem hängen, nur um in der Zukunft gerettet zu werden?

Was passiert, wenn man das Holz loslässt. Vielleicht geht man unter, wenn man versucht nach dem rettenden Seil zu greifen. Vielleicht ist es nicht stark genug, um sie dauerhaft zu halten, wenn es hochgezogen wird. Vielleicht könnte auch der Hubschrauber abstürzen...

Jedes Mal wenn man eine Patientin zum Befolgen einer Therapie überzeugen will, sollte man an diese Schwierigkeiten und Ängste denken. Nur so, kann man ihre Wünsche und Ängste verstehen.

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Quellen