AWMF online

 

Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlichen
Medizinischen
Fachgesellschaften

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie


 AWMF-Leitlinien-Register  Nr. 028/023  Entwicklungsstufe:  1 
Zitierbare Quelle:
Dt.Ges.f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte Verlag, 2. überarbeitete Auflage 2003 - ISBN: 3-7691-0421-8
 

Elektiver Mutismus (F94.0)

  1. Klassifikation
  2. 1.1 Definition

    Beim elektiven Mutismus handelt es sich um eine emotional bedingte Störung der sprachlichen Kommunikation. Sie ist durch selektives Sprechen mit bestimmten Personen oder in definierten Situationen gekennzeichnet. Artikulation, rezeptive und expressive Sprache der Betroffenen liegen in der Regel im Normbereich, allenfalls sind sie - bezogen auf den Entwicklungsstand - leicht beeinträchtigt.

    1.2 Leitsymptome

    1.3 Schweregradeinteilung

    Bislang existiert nach ICD-10 keine Schweregradeinteilung. Sie könnte sich richten nach:

    1.4 Untergruppen

    Der elektive Mutismus tritt mit einer Häufigkeit von unter 1 Promill in der Durchschnittsbevölkerung auf, deutlich häufiger jedoch bei Immigranten. Die Geschlechtsverteilung beträgt w : m 2 : 1. Ein totaler Mutismus findet sich selten.   Im Rahmen eines totalen Mutismus kann der elektive Mutismus als Übergangsstadium vor bzw. nach dem völligen Schweigen angesehen werden. Teilweise ist der totale Mutismus nur aus dem Vergleich mit dem früheren Kommunikationsverhalten diagnostizierbar. Er tritt nach schweren, seelischen Traumata auf.

    1.5 Ausschlussdiagnose

    Die Diagnose ist nicht vereinbar mit dem Vorliegen von:

  3. Störungsspezifische Diagnostik
  4. 2.1 Symptomatik

    Exploration der Eltern hinsichtlich

    2.2 Störungsspezifische Entwicklungsgeschichte

    Exploration der Eltern

    2.3 Psychiatrische Komorbidität und Begleitstörungen

    2.4 Störungsrelevante Rahmenbedingungen

    2.5 Exploration der Eltern, Informationen aus Kindergarten/Schule

    2.6 Apparative, Labor- und Testdiagnostik

    2.7 Weitergehende Diagnostik und Differentialdiagnostik

    Exploration der Eltern/Bezugspersonen und Informanten in Kindergarten/Schule, mit dem Kind befasster Kollegen in der Untersuchungssituation in Hinblick auf:

    2.8 Entbehrliche Diagnostik

    Bildgebende Diagnostik und EEG sind ohne Vorliegen von Entwicklungsstörungen entbehrlich.

  5. Multiaxiale Bewertung
  6. 3.1 Leitsymptome

    Siehe Punkt 2.1.

    3.2 Identifizierung weiterer Symptome und Belastungen

    3.3 Differentialdiagnosen und Hierarchie des diagnostischen und therapeutischen Vorgehens

    Erfassung von:

  7. Interventionen
  8. 4.1 Auswahl des Interventions-Settings

    Ambulante Behandlung
    Die Störung kann ambulant behandelt werden, wenn eine effiziente Zusammenarbeit mit den Eltern und den betreuenden Einrichtungen (Schule, Kindergarten, Hort) erzielt werden kann.

    Stationäre oder teilstationäre Behandlung ist indiziert:

    4.2 Hierarchie der Behandlungsentscheidung und Beratung

    Die in der Regel als multimodale Behandlung durchgeführte Intervention umfasst folgende Schritte bei Eltern und Patient:

    4.3 Besonderheiten bei ambulanter Behandlung

    Aufklärung und Beratung berücksichtigen die konkreten familiären Bedingungen und Belastungen und umfassen

    Interventionen in der Familie zur Verminderung der Angstsymptomatik setzen die Kooperationsbereitschaft der Hauptbezugsperson voraus und umfassen:

    Die Psychotherapie erfolgt parallel zu den bisher genannten Interventionsstrategien. Sie soll

    Pharmakotherapie ist indiziert, wenn eine deutliche Beteiligung von Angst vorliegt oder der ausschließliche Einsatz nichtmedikamentöser Behandlungsverfahren keine Besserung erzielte. Es wurden günstige Wirkungen von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern berichtet (z.B. Fluoxetin in Tagesdosen von 20-60 mg, derzeit jedoch nur als "Heilversuch" möglich). Die Kombination mit MAO-Hemmern verbietet sich, die für diese Medikamentengruppe empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen sind zu beachten.

    Verlaufskontrollen sind notwendig bezüglich folgender Faktoren:

    4.4 Besonderheiten bei teilstationärer Behandlung

    Voraussetzung für eine teilstationäre Behandlung ist, dass der tägliche Weg zwischen Wohnort und Therapieeinrichtung bewältigbar ist. Die Eltern dürfen nicht eine Dolmetscherfunktion zwischen Kind und Behandlungsteam übernehmen. Zusätzlich zu dem Vorgehen bei ambulanter Behandlung sind folgende Besonderheiten zu beachten:

    Gegen Ende der teilstationären Behandlung:

    4.5 Besonderheiten bei stationärer Behandlung

    Eine stationäre Behandlung ist dann indiziert, wenn die Voraussetzungen für eine teilstationäre Behandlung nicht erfüllt sind. Es gelten die gleichen Besonderheiten wie für teilstationäre Behandlung. Vor Abschluss einer stationären Behandlung ist die Wiedereingliederung in Kindergarten/Schule evtl. mit übergangsweiser teilstationärer Behandlung sorgfältig zu planen.

    4.6 Jugendhilfe- und Rehabilitationsmaßnahmen

    Sozialpädagogische Familienhilfe kann ambulante Behandlung co-therapeutisch im Sinne von Hometreatment unterstützen.
      Sofern fortdauernde Belastung eines Kindes in der Familie besteht, muss zur Sicherung des Therapieerfolges eine außerfamiliäre Betreuung erfolgen; ggf. kann dafür teilstationäre Betreuung genügen.
      Eventuelle schulische Leistungsdefizite müssen aufgearbeitet werden. Sekundäre psychiatrische Störungen bedürfen der Behandlung. Sofern die soziale Isolierung einer Familie oder soziale Ängste nicht gemindert werden können, ist Weiterbetreuung der Familie unter diesem Gesichtspunkt indiziert.

    4.7 Entbehrliche Therapiemaßnahmen

    Der ausschließliche Einsatz psychodynamischer Verfahren sollte mit Zurückhaltung betrachtet werden. Non-direktive Spieltherapie ist ebenfalls mit Zurückhaltung zu betrachten. Ausschließlich logopädische/sprachtherapeutische Behandlung ist kontraindiziert.
      Generell ist zu allen unter 4. beschriebenen therapeutischen Schritten bzw. Strategien festzuhalten, dass die wissenschaftliche Bewertung ihrer Wirksamkeit bislang weitgehend auf zusammengetragenem Erfahrungswissen respektierter Experten beruht (V).


Literatur:


Verfahren zur Konsensbildung:

Erstellungsdatum:

Januar 1999

Überarbeitung:

Mai 2003

Überprüfung geplant:


Zurück zur AWMF-Leitseite


Stand der letzten Aktualisierung: Mai 2003
©: Dt. Ges. f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Autorisiert für elektronische Publikation: AWMF online
HTML-Code optimiert: 11.06.2003 13:06:13