AWMF online | Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften |
AWMF-Leitlinien-Register | Nr. 038/010 | Entwicklungsstufe: | 1 | nicht aktualisiert |
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Bei erheblichen diagnostischen Unsicherheiten und/oder schwerwiegender Symptomatik:
Umgehendes Hinzuziehen eines Fachmannes (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Nervenarzt, qualifizierter ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeut).
  | Kognitive Verhaltenstherapie | Psychodynamische Psychotherapie | Pharmakotherapie | ||||
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Spezifische Phobien | Reizkonfrontation in vivo; evtl. systemat. Desensibilisierung (1-10 Stunden) [IA] | Beratung (5-10 Stunden) [V] | Beta-Blocker (z.B. Prüfungsanst), BZD (z.B. Flugangst), AD (bei entspr. Komorbidität) [IV] | ||||
Panikstörung | Reaktionskonfrontation (interne Reizkonfrontation) kognitive Reattribuierung (15-40 Std.) [A] | kurzfristig (30 Std.) bis mittelfristig (-100 Std.) "konfrontativ" [IIIA, evtl. IIA] | Imipramin (andere trizyklische AD) [IA?], SSRI [IB, evtl. IA] irrevers. MAOI [IV] BZD (vor allem hochpotente wie Alprazolam, Clonazepam, Lorazepam [IB]. Vorteile: rascher Wirkungseintritt, Verträglichkeit Nachteile: hohe Rückfallgefahr nach Absetzen, Abhängigkeitsgefahr falls Langzeitverordnung, mögliche Toleranzentwicklung | ||||
Agoraphobie mit/ohne Panikstörung | Reizkonfrontation in vivo (15-40 Std.) [IA] | mittelfristig (30-100 Std.) mit "konfrontativen" Elementen [IIIA, evtl. IIA] | Imipramin (andere trizyklische AD) [IA?], SSRI [IB evtl. IA] irrevers. MAO-I [IV] BZD (vor allem hochpotente wie Alprazolam, Clonazepam, Lorazepam) [IIB, evtl. IB]. Vor- und Nachteile: siehe Panikstörung) | ||||
Soziale Phobie | kognitive-behaviorale Interventionen: Reizkonfrontation, kognitive Reattribuierung und Umstruktuierung. Training sozialer Kompetenz, insbesondere bei sozialen Defiziten (möglichst Behandlung in Gruppen) [IA] | mittelfristig (40-100 Std.) am Selbstkonzept orientierte dynamische Therapie [V] | MAO-I:
BZD [IB]: Beta-Blocker (für isolierte Form] [IIB] Zu bedenken: relativ häufig Komorbidität mit Abhängigkeitserkrankungen, Langzeitbehandlung? Generalisierte Angststörung | Angstbewältigungstraining (z.B. kognitive Umstrukturierung, "Grübelkonfrontation", Entspannungsverfahren) [IIB, evtl. IIA] | Mittel- bis längerfristig | (30-100 Std. und mehr) niederfrequent "supportiv" Symptomreduktion und Veränderung des Selbstkonzeptes [IIIB, V] (trizyklische) Antidepressiva [IB] | SSRI [IIB] Benzodiazepine [IB] Bei Langzeitverordnung: Risiko der Abhängigkeit; hohes Rückfallrisiko [IIC] Buspiron [IB, evtl. nur IIC] Neuroleptika [IIB] Bei Langzeit-Therapie: Gefahr von Spätdyskinesien [V] |
Spezifische Phobie
Es besteht Konsens bei Spezifischen Phobien KVT, insbesondere Konfrontation in vivo, als Verfahren erster Wahl zu betrachten. Bei Unwirksamkeit ist zunächst die Konfrontationsbehandlung zu intensivieren, bevor adjuvante Verfahren wie Entspannungsmethoden, systematische Desensibilisierung, Benzodiazepine, Betablocker oder aber andere püsychotherapeutische Verfahren eingesetzt werden.
Agoraphobie und/oder Panikstörung
Es besteht Konsens, daß jede Behandlung einer Agoraphobie konfrontativer Elemente bedarf. Kein Konsens besteht bezüglich eines Verfahrens der ersten Wahl, ob KVT, psychodynamische Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie oder Psychopharmakotherapie. Gestützt auf die Güte der Effektivitätsnachweise ist eine erste spezifische Behandlung in Form einer KVT oder einer Psychopharmakotherapie gerechtfertigt. Ergebnisse therapierelevanter Diagnostik, Verfügbarkeit von Verfahren und nicht zuletzt auch der Wunsch des Patienten sind zu berücksichtigen.
Soziale Phobie
Es besteht kein Konsens bezüglich eines Verfahrens der ersten Wahl. Gestützt auf die Güte der Effektivitätsnachweise ist eine erste spezifische Behandlung in Form einer KVT, meist in Form komplexer Therapiepakete (Konfrontation in vivo, evtl. in sensu, kognitive Reattribuierung bzw. Umstrukturierung, Selbstsicherheitstraining, Training sozialer Kompetenz, Rollenspiele, Anleitung zu Hausaufgaben, Entspannungsverfahren) oder einer Psychopharmakotherapie gerechtfertigt (MAO-Hemmer, SSRI, evtl. BZD). Aufgrund klinischer Erfahrung können auch psychodynamische Verfahren angewandt werden. Ergebnisse therapierelevanter Diagnostik, Verfügbarkeit von Verfahren und nicht zuletzt auch der Wunsch des Patienten sind zu berücksichtigen.
Generalisierte Angststörung
Insgesamt sind die langfristigen Behandlungsergebnisse bei dieser oft chronisch (fluktuierend) verlaufenden Erkrankung bisher noch nicht befriedigend. Es besteht kein Konsens bezüglich eines Verfahrens erster Wahl. Gestützt auf die Güte der Effektivitätsnachweise ist eine erste spezifische Behandlung in Form einer KVT oder einer Psychopharmakotherapie gerechtfertigt, aufgrund klinischen Erfahrungswissens auch mit psychodynamischer Psychotherapie. Risiken einer eventuellen pharmakotherapeutischen Langzeitbehandlung sind besonders zu beachten, insbesondere bei der Behandlung mit Benzodiazepinen und Neuroleptika. Ergebnisse therapierelevanter Diagnostik, Verfügbarkeit von Verfahren und nicht zuletzt auch der Wunsch des Patienten sind zu beachten.
"Evidenz"klasse | Kriterien |
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I A | Mindestens zwei von verschiedenen Arbeitsgruppen durchgeführte Studien mit sehr guter Planung, Durchführung und Dokumentation oder entsprechende Metaanalysen. Folgende Anforderungen müssen erfüllt sein:
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I B | Wie I A, außer Kriterium f. |
II A |
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II C | Wie I B oder II B die Studienlage ist jedoch uneinheitlich. Es liegen auch Studien, mindestens eine entsprechend dem Design von "Evidenz"stufe I B oder zwei gemäß "Evidenz"stufe II B vor, die gegen eine Wirksamkeit des Behandlungsverfahrens oder für die Unterlegenheit gegenüber einem eingeführten Verfahren sprechen |
III A |
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III B | Wie III A, außer Kriterium I A f) |
IV | Mindestens eine offene Interventionsstudie mit kleineren Fallzahlen (z.B. sog. Pilotstudien) oder Naturalistische Verlaufsstudien |
V | Expertenmeinungen, basierend auf klinischer Erfahrung oder Kasuistiken |
Herausgeber
Dr. med. Wilhem Dengler
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik
Osianderstraße 24
72076 Tübingen
Prof. Dr. rer.biol.hum.Hans-Konrad Selbmann
Universität Tübingen
Institut für Medizinische Informationsverarbeitung
Westbahnhofstraße 55
72072 Tübingen
Unter Mitarbeit von:
J. Angenendt, M. Bassler, R.J. Boerner, G. Buchkremer, R. Buller, F. Caspar, U. Frommberger, S.O. Hoffmann, P. Joraschky, J. Margraf, G. Lorenz, G. Scheibe, H. Wetzel, G. Wiedemann, C. Wurthmann