Frage:
Ich bin Lernschwester im ersten Ausbildungsjahr und habe immer häufiger das Problem, dass ich Schwächeanfälle bei der Arbeit bekomme und fast ohnmächtig werde. Manchmal wird mir ganz ohne Grund schwarz vor den Augen, mir wird schon beim Gehen oder Stehen schlecht und es schlägt wie ein Blitz zu. Was mich am meisten verunsichert ist aber, dass ich beim einfachen medizinischen Aufgaben wie Blutabnahmen oder Spritzen oder wenn ich irgendwo Blut sehen muss so was bekommen kann. Nach einem Praktikum für die Ausbildung in einem Krankenhaus war ich völlig fertig, weil ich diese Anfälle noch irgendwie bekämpfen konnte. Ich bin dann nach Haus gegangen und hab den restlichen Tag einfach verschlafen. Aber es gibt auch Tage da muss ich mich einfach hinsetzen oder sogar hinlegen. Ich nehme Lorazepam für eine Angststörung, aber es hilft nicht mehr genug. Gibt es irgendwas was ich machen kann? Mir wurde schon gesagt, dass ich mich entweder diesen Situationen aussetzen muss und „härter“ werden muss, oder mir eine neue Ausbildung suchen sollte. Ich liebe aber diese Arbeit mit der Möglichkeit anderen Menschen zu helfen und möchte die Arbeit nicht verlieren.Antwort:
Natürlich ist es so nicht möglich, über die Ursachen bzw. genaue Zuordnung dieser Symptome zu spekulieren, ich würde aber auf jeden Fall eine baldigste Diagnostik und Therapie bei einer / einem Experten für Angststörungen empfehlen.Häufig erleben Auszubildende oder Medizinstudenten die Auseinandersetzung mit Krankheiten, Blut oder Spritzen als Belastung und müssen sich daran anpassen. Einige haben auch spezifische Phobien (z.B. Spritzenphobie oder Blutphobien). Hier kann tatsächlich eine gewisse Gewöhnung bzw. gezielte Exposition hilfreich sein. Ich glaube aber nicht, dass dies in Ihrem Fall die (alleinige) Grundlage der Probleme ist.
Und um ehrlich zu sein : Ich halte eine sehr baldige gründliche Behandlung bzw. Absetzen der Medikation für zwingend erforderlich, da eine Beschäftigung als Krankenschwester sonst nicht möglich sein wird. Kein Krankenhaus wird es wagen, eine Schwester mit einer entsprechenden Problematik und relativ „freiem“ Zugang zu Medikamenten zu beschäftigen. Ein „Verheimlichen“ ihrer Problematik wäre aber auf Dauer ganz sicher nicht möglich, vielmehr sollten sie offen ihre Problematik ansprechen und Hilfe suchen.
Welche Erklärungen gibt es nun für ihre derzeitigen Beschwerden :
Benzodiazepine wie Lorazepam sind zwar kurzfristig scheinbar „wirksam“ um Angstsymptome zu dämpfen, sie lösen jedoch keinesfalls irgendwelche Probleme. Im Gegenteil. Nach einer Einnahmedauer von 2- 6 Wochen tritt praktisch immer ein Toleranz- oder Gewöhnungseffekt auf. Die bisherige Dosis reicht nicht mehr aus, um den gleichen angstdämpfenden Effekt zu erzielen, die alten (oder aber neue) Angstsymptome treten auf. Eine weitere Dosissteigerung der Medikation würde jedoch aufgrund des Toleranzeffektes dieser Medikamente zu einer Abhängigkeit führen. Letzlich muss man auch bedenken, dass Benzodiazepine erhebliche Nebenwirkungen bzw. Auswirkungen auf das Kreislaufsystem und Schlaf haben. Es ist keinesfalls ungewöhnlich, dass Schwächegefühle bzw. auch ein Überhang von Mediamentenwirkungen zu entsprechenden Problemen beitragen.
„Schwächesymtome“ bzw. Angst vor Ohnmacht sind recht typische Angstsymptome. Sie können entweder durch die nachlassende Benzodiazepinwirkung aufgrund der Gewöhnung oder aber durch eine Generalisierung der Angstsymptomatik erklärt werden.
Leider neigen Angsterkrankungen dazu, dass schleichend aber sicher immer mehr Lebensbereiche betroffen werden, bzw. Ängste in unterschiedlichen Bereichen auftreten können. Häufig spielt dabei auch eine Erwartungsangst eine Rolle. Ausgehend von der Erfahrung, dass die Angstattacken überall und scheinbar unvorhersehbar auftreten können, ist eine Anspannung bzw ständige Angst vor der Angst zu verzeichnen. Dadurch wird man erst recht angespannt, der Stresspegel also erhöht. Zudem setzt eine ängstlich geprägte (selektive) Selbstbeobachtung ein. Viele Angstpatienten weisen bereits eine Veranlagung für sehr starke Reaktionen des autonomen Nervensystems (d.h. Herzschlag, Blutdruck, Atmung auf). Die Wahrnehmung von Veränderungen durch ein erhöhtes Stressniveau bzw. Ängste können dann bewusst oder auch unbewusst mit Gefahr bzw. dem Gefühl der Unkontrollierbarkeit verknüpft werden, was sicher nicht zur Beruhigung beiträgt. Leider könen dann erneute Panikattacken noch viel leichter entstehen. Es entsteht ein regelrechter Teufelskreis der Angst, d.h. die Angst vor erneuten Angstattacken bestimmt massgeblich die Beschwerden.
Es ist leider so, dass sich häufig zunächst unbemerkt ein gewisses Vermeidungsverhalten einschleicht. D.h. Versuche, den vermuteten Angstauslösern bzw. unangenehmen Situationen zu entkommen und sie nicht aufsuchen zu müssen. Meistens ist dies durch den Gedanken „gegen die Angst ankämpfen zu müssen“ bzw. „keine Schwäche“ zeigen zu dürfen geprägt. So sehr dies auch kurzfristig hilfreich erscheint, so trägt es doch langfristig leider nur zur Chronifizierung und Verschlimmerung bei. Häufig merkt man schon gar nicht mehr, welche Umwege bzw. Einschränkungen man in seinem Leben durch die Ängste schon in Kauf genommen hat. Die Angst vor Entdeckung bzw. äußerer Druck ist dann häufig Anlass etwas zu ändern. Aber gerade unter Druck kann man natürlich bisherige Verhaltenmuster im Umgang mit der Angst nicht von heute auf morgen ändern. Auch eine unvorbereitete Konfrontation zur Abhärtung wird also wenig erfolgreich sein. Sie müsste durch eine fundierte Psychotherapie vorbereitet und unterstützt werden, da sonst mehr Schaden als Nutzen entstehen kann!
Häufiger berichten Patienten mit Angststörungen (oder z.B. Persönlichkeitsstörungen), dass sie „neben sich stehen“ oder die Welt nicht mehr so recht real wahrnehmen würden. Dies ist ziemlich unangenehm, aber keinesfalls ein Zeichen, dass man nun „verrückt“ werden würde oder die Kontrolle verlieren könnte. Vielmehr ist dies in aller Regel eine Art „Alarm“, dass man überfordert bzw. in einer chronisch angespannten Situation ist. In aller Regel handelt es sich um eine vorrübergehende Wahrnehmung.
Auch wenn man dies so aus ihrer Schilderung nicht entnehmen oder belegen kann, sollte durch einen Therapeuten auch die Möglichkeit für dissoziative Störungen ausgeschlossen werden. Dissoziatives Erleben kann z.b. nach traumatischen Erlebnissen (z.b. bei einer posttraumatischen Belastungsstörung PTSD) auftreten und sich auch durch kurzzeitige Schwäche oder Bewusstseinsstörungen zeigen.
Egal, welche diagnostische bzw. ursächliche Zuordnung man nun fällt (es kommen durchaus noch andere Erklärungen in betracht) : Sie sollten kurzfristig sich professionelle Hilfe suchen: