Frage:
Kann man ADHS auch bei Frauen ohne sichtbare Hyperaktivität diagnostizieren?Antwort:
Wie sie ja richtig schreiben, ist die diagnostische Situation bei Erwachsenen mit ADHS unbefriegend, weil die diagnostischen Kriterien weder geschlechtsspezifisch noch wirklich altersadaptiert sind. In zukünftigen psychiatrischen Klassifikationssystemen (DSM-V) wird dies zwar berücksichtigt werden, jedoch sind die eben noch nicht "gültig".
Bisher ist es nach meiner Erkenntnis daher sehr schwer, die herhömmlichen Fragebögen auf Frauen mit ADHS anzuwenden. Ich selber setze zwar auch eine Symptomliste von ADD-Online (Symptomliste für Frauen mit ADHS) ein, kann aber doch eher auf die klinische Erfahrung als auf eine Symptomliste setzen. Von einem "grenzwertigen Ergebnis" bei Konzentrationstests zu sprechen, erscheint mir wenig sinnvoll. Es gibt schlicht keinen Konzentrationstest, der ADHS beweisen oder ausschliessen könnte. Daher kann ein Test auch nicht "grenzwertig" sein. ADHS ist und bleibt eine klinisch bzw. anhand der Anamnese zu stellende Diagnose. Ob bei ihnen nur tatsächlich ein unaufmerksamer Subtypus vorliegt bzw. eher ein kombinierter Typus mit eben typischerweise nicht mehr deutlich sichtbarer motorischer Unruhe (aber deutlichen Impulskontrollproblemen bzw. Desorganisation) kann man natürlich so nicht sagen.
Ich selber sehe in der Klinik zu 90% Frauen mit ADHS. Die klinischen Probleme sind andere als bei Männern (z.B. eher Erschöpfung, Depression, Essstörungen), da auch die Lernerfahrungen und Anforderungen andere sind. Wir machen dann einen kombinierten neurobiologischen und psychotherapeutischen Behandlungsansatz (ADHS-Therapie bei Erwachsenen), wobei ich eher im Zweifel FÜR eine Medikation wäre, als dagegen. Gerade Frauen mit ADHS profitieren sehr von einer medikamentösen Behandlung mit Methylphenidat plus SSRI oder auch von Atomoxetin (Strattera). Natürlich sollte man dies mit Psychotherapie bzw. Informationsvermittlung kombinieren. Das Problem ist nur derzeit, dass eben selbst ADHS-kundige Therapeuten die Diagnosekritierien zu streng auslegen müssen und damit die meisten Frauen mit ADHS unbehandelt bleiben.
Häufig stehen dann die sekundären Folgen einer nicht ausreichend behandelten ADHS-Grundkonstellation im Vordergrund. Dies ist sicher ein Grund, warum wir in psychosomatischen Kliniken dann recht viele ADHS-Patienten neu diagnostizieren und behandeln können / müssen. Häufig stellt dann die Neudiagnose eine entscheidene Neuorientiertung bzw. Weichenstellung dar, die unter einem neuen Blickwinkel neue Veränderungsmöglichkeiten und Chancen bietet.